Hallo Schrotflinte, tschüss Moral

Darf man das? Moral bei und in Videospielen ist immer wieder ein heikles Thema. Denn einerseits möchte man darauf hinweisen, dass Videospiele eben nur „Spielereien“ sind und deswegen nicht so ernst genommen werden sollen, andererseits möchte man die Spiele mehr in die Gesellschaft integrieren und zu einem allgemeinen Medium machen. Der Spagat funktioniert dann besonders gut, wenn die Spiele keine anstößigen Inhalte haben. Wenn die Inhalte aus abgeschnittenen Köpfen und herumfliegenden Innereien bestehen, wird es schon schwieriger.
Und als ich vor wenigen Tagen das Ingamematerial aus dem Survival-Spiel „The Last of Us“ (Youtube Video) sah, wurde mir wieder vor Augen geführt, dass dieser Spagat mit zunehmender Tiefe, Komplexität und Realismusgrad eines Spieles immer schwieriger wird. Im oben gelinkten Video sind mir zwei Dinge etwas aufgestoßen: 
Überlebenskampf
Zum Einen die Szene, in der die Spielfigur einen Banditen erwürgt. Gabs vorher auch in anderen Spielen – ist klar. Aber neu ist für mich, wie „authentisch“ der Bandit versucht sich aus dem Würgegriff zu befreien und letztendlich doch unter Qualen ersticken muss. Lassen wir das mal so stehen und kommen wir zur zweiten Szene.
In dieser Szene wird die Spielfigur von einem Banditen überwältigt. Schafft es aber sich dank der Hilfe seiner Begleiterin zu befreien und den Feind zu Boden zu werfen. Der Hauptprotagonist hat nun ein Gewehr in der Hand und zielt auf den Kopf des unbewaffneten Gegners, der daraufhin versucht mit dem Flehen zu beginnen. Der Spielcharakter trügt sofort ab. Hier muss man allerdings dazu sagen, dass nicht ganz klar ist, ob man sich auch anders entscheiden könnte. Aber alleine die Tatsache, dass Gegner nun versuchen, um Gnade zu winseln oder um ihr Leben zu kämpfen, hebt das Spiel in eine völlig neue Schiene.
Und hier kann man sich in Anbetracht der höchst realistischen Gewaltdarstellung aber besonders auch aufgrund des realistischen bzw. menschlichen Gegnerverhaltens die Frage nach einer Moral stellen. Moral ist hier allerdings nicht so zu verstehen, dass der Spieler durch die Aktionen unmoralisch handeln würde, sondern dass die Spielfigur es tut. Hätte der Feind erwürgt werden müssen? Hätte man unbedingt schießen müssen? Denkt man ein paar Schritte weiter, wird dann aber eine viel zentralere Frage:
Ist das Spiel überhaupt noch ein Spiel?
Keinerlei Gnade: Unbewaffneter Gegner wird trotz Flehen erschossen. Von einer Jugendfreigabe kann man sich  wohl   verabschieden.
Denn hat ein Spiel eigentlich nicht immer etwas mit Ernstlosigkeit zu tun? Ein bisschen Spaß haben, rumspielen, verspielt sein… Nicht: „Töte ich jetzt den Vater von zwei Kindern mit mehreren Messerstichen und hoffe, dass er schnell verblutet, um nicht weitere Qualen zu erleiden, damit ich mein Spielziel erreichen kann?“ Denn genau das, hat eher etwas mit einer wissenschaftlichen Studie über Verhaltensforschung zu tun, als mit Unterhaltung.
Es sei denn, man relativiert den Begriff „Spiel“ bzw. „Unterhaltung“ dahin gehend, dass dieses Survival-Spiel nicht nur von dem eigenen Überleben und Kampf gegen den Tod handelt, sondern auch erstmals den Überlebenskampf der Nichtspielerfiguren behandelt. Und das funktioniert eben nur dann besonders gut, wenn dieser Überlebenskampf im Spieler bestimmte Emotionen weckt. Emotionen, die über eine realistische Sterbedarstellung hervorgerufen werfen. Darf man das?

Kommentare

7 Antworten zu „Hallo Schrotflinte, tschüss Moral“

  1. Natürlich darf man das. Filme tun das seit Jahrzehnten und Spielen (in Zunkunft sollte wird man hoffentlich eine treffendere Bezeichnung finden) darf diese Freiheit nicht verwehrt werden. Bei Last of Us ist mir noch nicht ganz klar, ob Naughty Dog diese Elemente auch tatsächlich dazu nutzt, um den Spieler über Moral, Empathie und dergleichen nachdenken zu lassen und evtl. auch über Entscheidungsfreiheit ein Dilemma zu kreieren oder es einfach nur realistischer aussehen soll. Die Shotgun-Szene sah für mich so aus, als hätte er nicht abdrücken müssen, aber in einer Welt, in der die Gesellschaft zugrunde geht, ist es eigentlich nicht überraschend, dass dort wieder das Gesetz des stärkeren gilt und jeder zunächst ums eigene Überleben kämpft.

  2. Bei Filmen habe ich allerdings immer eine gewisse Distanz zu den Protagonisten und würde dementsprechend nie auf die Idee kommen ihre Handlungen auf mich zu reflektieren. Sie laufen auf vorgefertigten Schienen und tun schlimme oder schöne Dinge, ohne dass ich einen Einfluss darauf hätte. Ob sie dabei sympathisch rüberkommen, oder nicht spielt ersteinmal keine Rolle.

    Versuche ich mich allerdings in eine Figur hineinzuversetzen – wie in Computerspielen – wäre es mir lieb, wenn ich mir dabei nicht so vorkommen würde, wie die Personen, die ich die letzten 20 Jahre bekämpft habe. Einen menschenverachtenden Idioten zu spielen würde mir persönlich widerstreben.

    Auch frag ich mich, wieso Naughty Dog solche Gewaltszenen in das Spiel integriert, wenn sie nicht wollen würden, dass man sich über moralisches Verhalten der Spielfigur Gedanken macht.

  3. Hm. Ein schwieriges aber gutes Thema. Etwas beschähmt muss ich jedoch zugeben, mir darüber bisher nicht wirklich Gedanken gemacht zu haben. Warum auch? Wie schon angesprochen gibt es diese Situationen in Filmen schon seit Jahren, wenn nicht sogar schon so lange wie Film als publikes Medium eben existiert. Doch ist es auch wieder falsch dass einfach so zu vergleichen, denn wenn wir es streng sehen, dann interagieren wir im Film nicht. Wir sehen es uns an und akzeptieren eben, dass Loki 80 Menschen in 2 Tagen tötet. Im Spiel hingegen sind es quasi „wir“ die da die Kugel in den Kopf jagen. Und während ich diesen Text schreibe und darüber nachdenke obwohl ich arbeiten sollte, dann fällt mir auf, dass es mich kein bisschen stört. Nun tut sich die Frage auf, ob ich ein Problem mit Moral habe, aber ich denke nicht, immerhin mach ich das ja wirklich nur im Spiel und nicht in der Bahn wenn mich ein Kind anrempelt. Ich glaub wirklich eine Frage von Moral muss die Umstände mit einbeziehen. Es ist etwas anderes, wenn ich in einer dystopischen Welt wie in der von The Last of Us einen Banditen töte, der nach dem flehen wenn ich mich umgedreht habe mir ein Messer in den Rücken drückt, weil es in dieser Welt eben ums pure überleben geht und das von Naughty Dog auch sicher wunderbar dargestellt wird, so dass man es eben merkt, oder aber wenn ich in Call of Duty als Terrorist durch nen Flughafen renne und Zivilisten abknall. Das wiederrum finde ich auch nicht zu 100% vertretbar und hat mich wirklich übel aufstoßen lassen.

    So long Chrissy !

  4. aber du stellst dir schon hin und wieder die Frage, wie du in der jeweiligen Situation gehandelt hättest, oder?

    Der aktive Part des Spielers ist zugleich Fluch und Segen des Mediums, aber wie soll sich das Medium weiterentwickeln und „erwachsen“ werden, wenn ihm weiterhin Grenzen auferlegt werden, die für Literatur und Film nicht gelten. Es wird sicher noch lange dauern, bis solche komplexen Themen in „Spielen“ (hier einfach ein unpassendes Wort) gelungen umgesetzt werden, aber wir müssen den Entwicklern die Möglichkeit geben, es zu versuchen und zu lernen, denn sonst wird man das Medium niemals wirklich ernst nehmen.

    Wie gesagt, ich weiss nicht, ob Moral usw. im Spiel eine größere Rolle spielen werden. Im Video merkt man aber an den Reaktionen des Mädchens, dass da durchaus noch etwas in der Richtung passieren kann.

    Was genau macht ihn denn jetzt zu einem menschenverachtenden Idioten und all die anderen Action-Helden nicht? Aus meiner Perspektive kämpft er um das eigene und das Leben des Mädchens und dazu ist es offenbar zwingend notwendig die anderen auszuschalten. Es ist doch auch eigentlich ein ganz klassisches Element in der Thematik der Post-Apokalypse/Fallout etc., dass eigentlich gute/normale Menschen durch die Umstände verändert und zu Dingen getrieben werden, die sie eigentlich nie tun wollten/würden. Aktuell ist das auch in der Serie The Walking Dead zu sehen.

    Ich bin durch und durch Pazifist und verachte reale Gewalt jeglicher Form, aber ich denke, dass Menschen in Extremsituationen zu Dingen fähig sind/ sein müssen, die innerhalb der Gesellschaft nicht toleriert werden dürfen.

    Ich würde erst mal auf weiteres Material/genaure Infos warten, bevor ich den Titel verurteile.

  5. Das mit dem erwachsen werden ist ein guter Punkt. Denn genau das ist der Zeitpunkt an dem sich das Medium enorm für gesellschaftliche und politischen Themen öffnet.

    Das Problem, dass ich darin sehe, dass ich es in Frage stelle, ob die Konsumenten das auf dieser Ebene – nämlich der authentischen Gewaltdarstellung – überhaupt möchten.

    Ich sagte ja nicht, dass die Figur in The Last of Us ein menschenverachtender Idiot ist, ich meinte nur, dass es stärker in die Richtung geht in der die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen.

    Durch die Distanz zwischen der Realität vor dem Monitor und im Monitor wird es genau dann gefährlich, wenn ich mich nicht mehr mit der Spielfigur identifizieren kann. Ich spiele zwar gerade in Rollenspielen häufiger den zwielichtigen Schurken, der starke Kriminelle Adern hat, aber habe bisher immer davon abgesehen meine Feinde „hinzurichten“.

    Auch verurteile ich den Titel nicht, sondern finde nur die Diskussion über seine mögliche Umsetzung spannend.

  6. Im eigentlichen Text kam das auch nicht so rüber, aber in den Kommentaren hatte ich schon etwas den Eindruck, dass du bereits eine mehr oder weniger feste , negative Meinung hast 😉

  7. Nee, dafür ist noch zu wenig vom Spiel bekannt. Mein erstes Kommentar war rein hypothetisch ^^

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