In Deutsch­land wer­den im Schnitt täglich 1–2 Men­schen von anderen Men­schen absichtlich getötet. Unter “Mord und Totschlag” find­en sich in der polizeilichen Krim­i­nal­stat­stik 2015 ins­ge­samt 589 “vol­len­dete” Fälle. Also Fälle, bei denen wirk­lich jemand getötet wurde. Bei ver­sucht­en Mord und Totschlag sind wir schon bei 1.868 Fällen.

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Das heißt, dass man als deutsch­landweites Medi­um jeden Tag über eine heute geschehene Tötung bericht­en kön­nte. Gle­ichzeit­ig über min­destens 5 heute geschehene ver­suchte Tötun­gen. Und über die unzäh­li­gen neuen Erken­nt­nisse in laufend­en Ermit­tlun­gen oder über die Urteile der anderen rund 2.500 Fällen der let­zten 12 Monate.

Müsste ich jeden Abend über wirk­lich alle Morde, Totschläge und andere schw­er­wiegende Ver­brechen bericht­en, dann wür­den sich die Nachricht­ensendun­gen min­destens eine Stunde lang nur darum drehen, wer hier wen umge­bracht hat. Mal ganz abge­se­hen davon, dass wohl kaum ein Bürg­er eine Stunde lang vor der Glotze hän­gen würde, um sich 1 Stunde lang über Mord und Totschlag aufk­lären zu lassen, wäre es auch eine Zumu­tung für eine einzige Sendung, von ihr zu erwarten, dass sie jeden Tag allum­fassend über jede Schlagzeile inner­halb Deutsch­lands bericht­en würde. Das will der Bürg­er nicht sehen, das kön­nen die Sender nicht stemmen.

Man muss die Auswahl einschränken

Man muss also auch als Nachricht­ensendung eine Auswahl darüber tre­f­fen, was gezeigt wer­den soll und was nicht. Meist beschränkt man sich dabei auf Nachricht­en, an denen der Durch­schnitts­bürg­er ein beson­deres Inter­esse hat (öffentlich­es Inter­esse). Die Gründe dafür kön­nen vielfältig sein. Es kann sich um bekan­nte Per­sön­lichkeit­en han­deln (Stars, Poli­tik­er). Die Tat kann beson­ders schw­er­wiegend sein (Massen­mord, Folter). Aber es kann auch sein, dass bei der Bevölkerung derzeit ein größeres Inter­esse an ein­er bes­timmten The­matik vor­liegt (Flüchtlinge). Und genau hier kom­men wir zur Problematik.

In der Pub­lizis­tik gibt es ein The­o­rie namens Agen­da Set­ting. Das Agen­da Set­ting besagt unter anderem, dass der Leser / Zuschauer nicht zwangsweise die The­men für wichtig erachtet, mit denen er täglich in seinem All­t­ag zu kämpfen hat, son­dern beson­ders die The­men, die er täglich von den Medi­en serviert bekommt. Schnurzpieps egal, ob ihn die Prob­lematik bet­rifft oder nicht. Ist schon­mal ein­er an euch an Vogel­grippe erkrankt? Nein? Dann wisst ihr sicher­lich, was ich meine. Durch das tägliche Bre­it­treten in den Medi­en, kön­nte man meinen, dass wir kurz vor der Ver­nich­tung durch die Vogel­grippe standen.

Flüchtlinge sind für den Durchschnittsbürger eigentlich unbedeutend

Bezüglich der Flüchtlingslage in Deutsch­land gilt das gle­iche Phänomen. Flüchtlinge nehmen auf unser Leben kaum oder gar keinen Ein­fluss. Trotz­dem wird täglich (egal ob pos­i­tiv oder neg­a­tiv) über sie berichtet. Andere The­men, die sehr viel bedeu­ten­der sind (Armut, Renten, EU, etc.) sind dage­gen nur Randbe­merkun­gen. Dem Zuschauer / Leser wird durch die häu­fige, monate­lange Berichter­stat­tung sug­geriert, dass die Flüchtling­sprob­lematik seit über einem Jahr das größte Prob­lem in Deutsch­land sei. Er hat deswe­gen ein großes Inter­esse an allem, was mit Flüchtlin­gen zu tun hat und ein gerin­geres Inter­esse an allem, was nichts (in)direkt mit Flüchtlin­gen zu tun hat.

Um Mal wieder auf Mord und Totschlag zurück­zukom­men bedeutet das, dass das gesteigerte Inter­esse an den Flüchtlin­gen dafür sorgt, dass über jedes (Kapital-)Verbrechen eines Flüchtlings berichtet wer­den müsste, weil das öffentliche Inter­esse dabei beson­ders groß ist. Tut man das nicht, wird man in der heuti­gen Zeit mit Ver­schwörungs­the­o­rien bombardiert.

Die Filterblase jetzt auch in den Nachrichtensendungen einführen?

Man muss den Weg allerd­ings mal zuende denken. Was passiert denn, wenn die Medi­en 24 Stun­den am Tag fast auss­chließlich über die Verge­hen von Flüchtlin­gen bericht­en? Genau das gle­iche, was passiert, wenn wie­der­mal irgendwelche ange­blichen Killerviren die Men­schheit bedro­hen — Panik, Vorurteile und eine Bevölkerung, die abso­lut Schwachsin­nig reagiert (ich kaufe keine Gurken mehr, weil die alle mit EHEC belastet sind).

Hin­ter­grund des Artikels
In Freiburg wurde eine 19 jährige Medi­zin­stu­dentin von einem 17 jähri­gen Flüchtling ermordert. Derzeit­iger Aufreger viel­er Medi­en und Men­schen ist nicht der Mord an sich, son­dern die Tat­sache, dass die Tagess­chau nicht über den Mord berichtet hatte.

Im aktuellen Fall wird der Tageschau vorge­wor­fen, sie hät­ten sich aus poli­tis­chen Grün­den dafür entsch­ieden, absichtlich nicht über den Mord durch einen Flüchtling zu bericht­en. Klar, aus poli­tis­chen Grün­den über etwas NICHT zu bericht­en, ist verurteilenswert. Wenn ich jet­zt allerd­ings bewusst über jedes Verge­hen eines Flüchtlings berichte, dann tue ich das auch aus poli­tis­chen Grün­den. Und das ist ja wohl genau so däm­lich. Deswe­gen wäre es wohl am sin­nvoll­sten, wenn man nach wie vor die Auswahl auf­grund der anderen Gesicht­spunk­te (z.B. schwere des Verge­hens) anstatt an der Nation­al­ität oder des Aufen­thaltssta­tus trifft. Und das hat auch zur Folge, dass nicht über jeden Mord berichtet wird. Auch nicht über jeden Mord eines Flüchtlings.